Eigentlich soll es ein ganz gewöhnlicher Tag werden – eine entspannte Wanderung in den bayerischen Bergen. Doch dann hören sie den Schrei.
Nur Sekunden später finden sie sie. Die erste Person liegt reglos da, das Gesicht blutverschmiert, eine tiefe Platzwunde am Kopf, das Bein unnatürlich verdreht. Der Puls ist schwach, die Haut bleich. Jemand entfaltet hektisch die Rettungsdecke.
Nicht weit davon entfernt kauert eine zweite Verletzte – eine Frau, deren Hände mit Brandblasen bedeckt sind. Sie schreit und wimmert, während die Helfer versuchen, ihre Verletzungen zu versorgen. Sie stammelt etwas von Seil und Absturz, und ein Blick nach oben auf die Felswand lässt eine Vermutung über den Unfallhergang zu.
Trotz des Wissens, dass das alles nur eine Übung ist, lässt sich die Anspannung nicht verdrängen. Die Szenerie fühlt sich zu echt an. Denn ein Ziel dieser Fortbildung ist es, die Grenze zwischen Simulation und Realität verschwimmen zu lassen - damit man in dem Moment, wenn es einmal wirklich passiert, nicht mehr nachdenken muss.
Diesen „1.-Hilfe-Einsatz“ könnte im Ernstfall jede und jeden von uns treffen. Um bei alpinen Unternehmungen auch in Notfällen gut vorbereitet zu sein, absolvieren 25 Tourenleiter:innen der Bergfreunde eine zweitägige Fortbildung. Unter der Leitung der beiden Bergretter Andi* und Willi frischen wir am Spitzsteinhaus unser Wissen im Rahmen eines „Outdoor-Erste-Hilfe-Kurses“ auf.
Schon am ersten Tag wird klar: Das ist kein trockener Theoriekurs. Unsere Trainer zeigen uns anschaulich, wie man eine stark blutende Wunde mit einem Druckverband versorgt oder eine Platzwunde am Kopf richtig behandelt. Ebenso lernen wir, nach welchem Schema wir grundsätzlich vorgehen sollten: Wann ist der Notruf 112 zu wählen? Wann bringt man eine verletzte Person in die stabile Seitenlage - und in welchen Situationen ist eine Reanimation erforderlich, und wie geht das überhaupt?
Besonders eindrucksvoll ist die realistische Übungssituation: Die Teilnehmenden schlüpfen abwechselnd in die Rollen von Ersthelfenden und Verletzten. Das schauspielerische Talent mancher sorgt dabei für echtes Herzklopfen. Wenn jemand überzeugend den Eindruck erweckt, kurz vor dem Ersticken zu sein, fühlt man sich zunächst ziemlich hilflos. Doch Andi und Willi stehen uns jederzeit mit Rat und Tat zur Seite, geben wertvolle Tipps und demonstrieren passende Maßnahmen.
Gemeinsam reflektieren wir das Erlebte: Wie effektiv ist unsere Zusammenarbeit? Welche Erkenntnisse nehmen wir mit? Und worauf sollten wir künftig noch mehr achten?
Insgesamt ist es ein unglaublich spannendes und lehrreiches Wochenende und das Beste daran: Es macht richtig Spaß! Trotz der ernsten Themen wird viel gelacht. Wann sieht man schon sechs Leute mit höchst kreativen Kopfverbänden rund ums Spitzsteinhaus? 😊
*Andreas Maier, Alpin Aktiv Plus